Eine Seite von Stefan Korol

Fly and Die

Stefan Korol

Fly and Die

In den ersten 2000er Jahren beglückte die Werbung uns mit einem neuen Trend: Slogans auf Englisch. Leider erwies sich das für die Unternehmen als Flop – und für uns Kunden als ein Quell langanhaltender und beglückender Schadenfreude. Umfragen zeigten, dass die für teuer Geld entwickelten und für noch mehr Geld als megatrendy verkauften Sprüche von den Kunden nicht verstanden wurden: Mitsubishis „Drive alive“ übersetzten sie mit „Fahre lebendig“; aus dem Sat1-Slogan „Powered by Emotion wurde „Kraft durch Freude“, und auf Platz 1 setzte die hämisch feixende Kundschaft die Drogerie Douglas und ihrem „Come in and find out“: „Komm rein und finde wieder raus“.
Eine ehrbare Zunft hätte sich für diesen Flop in Grund und Boden geschämt und wäre für Jahre in der Versenkung verschwunden. Der Werbebranche fehlt es dafür offenbar an Schuldbewusstsein, Schamgefühl und Stil, sie schob die Blamage selbstbewusst beiseite und startete einfach einen zweiten – englischen Versuch.

 

Das moderne Leben ist ein Zeitfresser. Beruf, Beziehung, Begräbnis (ich bitte diese Listung und Reihenfolge nicht kausal aufzufassen) sind schon lange auf die Sekunde durchgetaktet, und die ehemals mit diesen drei Begriffen Selbstverwirklichung, entspannte Zweisamkeit und gefühlvolles Ausweinen kommen nur noch im Altenheim vor. Kein Wunder, dass auch unsere Sprache durchrationalisiert wird – wer hat denn noch Zeit, ganze und auch noch mehrere Sätze zu sprechen, geschweige denn, sie sich anzuhören.

Nun erfüllt Sprache, gar vielfältige, den Geist anregende und zuweilen deswegen auch anstrengende, aber eine Funktion. Sie soll informieren, stimulieren, motivieren. Und so haben die doch ewig kreativen, vermutlich, weil in Beruf, Beziehung und Begräbnis vom Zeitfresser zumindest bislang verschont gebliebenen Werbemenschen klammheimlich damit begonnen, lange Geschichten auf das Brutalste zu verkürzen.

Nehmen wir zum Beispiel den ehemals von Genuss geprägten Duty Free-Bummel vor dem mit großer Spannung und Vorfreude erwarteten Interkontinental-Flug. Da schlenderte der Fluggast in spe durch das anregend drapierte und womöglich noch exklusive Angebot. Ein Genuss, diese dramaturgisch kunstvoll aufgebaute und sich langsam steigernde Vorfreude auf die Reise durch stratosphärische Höhen, der zu einem ersten Höhepunkt führte: Dem Kauf von zwei Flacons mit exquisitem Inhalt, natürlich zu einem überaus günstigen Airport-Preis. Es folgte eine kurze Entspannungsphase, um dann die wieder auf- und anregenden letzten Minuten bis zum Einstieg zu genießen. Dann aber kamen die brutalen Werbefuzzis und bescheren uns seither ein profanes fly and buy.

Oder denken wir an die romantischen und zu Tränen rührenden Geschichten von herzzerreißenden Situationen mobilen Lebens – die Abschiede an unseren Bahnhöfen. Tragödien, die ganz banal begonnen haben mit dem Kauf einer Fahrkarte, um dann in einem großen seelischen Schmerz zu enden. Auch davon ist nichts mehr geblieben – außer ebenfalls drei und ebenfalls fremdsprachlichen Worten: kiss and ride. Zu mehr als einem solchen profanen Aufruf per Schild hat sich die Deutsche Bahn zumindest an ihrem, doch immerhin milliardenteuren Hauptstadtbahnhof, nicht hinreißen lassen.

Keine Frage: Diese und andere Geschichten-Verkürzer haben sich durchgesetzt. Und, ich gestehe: Nach einer Phase des Widerstands gegen diese Rationalisierung der deutschen Sprache, finde ich nun einen gewissen Gefallen an diesen Wort- und Werbedopplern, kurz WWDs (Klingt das nicht klasse?). Zu einem, wie ich einschätze, genau richtigen Zeitpunkt, denn die Werbung scheint sich schon wieder anderen Sprach-Brutalitäten zuzuwenden, denn die die letzten bla-und-da-Neuerscheinungen liegen schon eine Weile zurück. Gut, da gibt es einige aktuelle und selbst kreierte Versuche auf regionaler Ebene: Come in and druck out schreibt ein Copyshop in Kiel an seine Hauswand. Aber, erstens ist das kein klassischer Werbedoppler, zweitens ein wenig holprig klingend und drittens eine Anlehnung an den Werbe-Flop des Jahres einer bekannten Drogerie-Kette – der Drucker sollte also lieber weiterhin kopieren statt kreieren. Über diesen Tipp für den Kieler Drucker hinausgehend erlaube ich mir auf textlich fremden Pfaden zu wandeln und nachstehend selber einige Vorschläge für lebensbejahende WWDs zu unterbreiten:

Meinen ersten Vorschlag möchte ich dem Verband deutscher Backwarenhersteller antragen. Dessen Existenz habe ich zwar nicht per Google überprüft, gehe aber davon aus, dass es ihn gibt, denn wenn zwei Menschen in Deutschland den gleichen Beruf, das gleiche Hobby oder die gleiche Macke haben, dann gibt es auch einen entsprechenden Verband. Wo immer also diese meine Zielgruppe sich aufhalten mag, hier meine Waffe, um die morgendlich-verschlafene Muffelstimmung im Bäckerladen zu bekämpfen: back und schnack. Ein lebenslustiger WWD, der die verschnarcht-muffelig in der Schlange stehenden Kunden frisch und knackig aus den Puschen haut. Und sicher auch die Backtätigen selbst – also die, die die (da bin ich von der belebenden Wirkung dieser Wortkreation gleich beeindruckt: ein dreifach die) vorgefertigten Fabrikbrötchen absolut art- und handwerksgerecht in die automatischen Öfen schieben und durch den leckeren Duft den Eindruck einer meisterlichen Bäckerarbeit mit mindestens 30-jähriger Berufserfahrung erwecken.

Ein WWD, speziell für Fußballer, der aber, nach meiner Einschätzung nicht zwingend notwendig ist, weil er nicht wirklich neue Gewohnheiten mit sich bringt, sondern nur das Gewohnte in neuer Lust und Leidenschaft erleben lässt, wäre kick and fick. Aber, wie gesagt, es würde mich überraschen, wenn ich damit allzu viele Ballzauberer auf eine neue Idee der post-ballerischen Phase brächte. Und wo wir beim Thema sind: Das Beziehungsverhalten männlicher, und hier vor allem junger und auch sportlich ambitionierter Singles gegenüber dem zunächst willigen, dann hoffenden und schließlich enttäuschten weiblichen Geschlecht, bislang mit einem inzwischen altbacken klingenden ex und hopp, ließe sich mit einem modernen fun and run zu einem hippen Trend erklären und vielleicht sogar rechtfertigen.

Die Lufthansa könnte mit einem knackigen Werbedoppler an ihrem inzwischen vielleicht doch ebenfalls etwas verstaubten Image arbeiten: fly and die erweckt den Eindruck, als könne ein an sich simpler und langweiliger Flug von Hamburg nach München ein überraschendes, vorzeitiges und vielleicht gar abenteuerliches Ende in der Rheinischen Tiefebene finden.

Auch am Boden helfen kreative Wortpaare dem stupiden Reisealltag auf die Sprünge. Das inzwischen auf das Sortiment eines Kaufhauses angewachsene Warenangebot bundesdeutscher Tankstellen könnte dank eines auffordernden tank und zank zu spontanen Beziehungs- und Familiendramen führen: Er will los, sie hängt aber noch am Schuhregal; der Junior weigert sich, die Weiterfahrt im urlaubsbeladenen Kleinwagen ohne das gerade zum sensationellen Tiefpreis angebotene Mountainbike anzutreten.

Allerdings sollte der Ehrlichkeit darauf hingewiesen werden, dass tank und zank erstens schnell eingeführt werden sollte und zweitens selbst dann ein kurzes Verfallsdatum hätte; ist es doch nur noch eine Frage der Zeit, bis die dreistelligen Felder an den Preistafeln der Tankstellen für die Anzeige des aktuellen Benzinpreises nicht mehr ausreichen. tank und zank wird natürlich auch dann noch zur zunehmend gespannter werdenden Atmosphäre in den Tankstellen passen, aber treffender auf den Punkt brächte es dieser, dann finale Werbedoppler: tank und blank.  

Schluss mit Stuss.

(2002)