Mit der Harley durch den Südwesten der USA (1992)
TEIL 1
Durch den Südwesten der USA auf der eigenen Harley – ein Traum
für viele Motorradfahrer.
Garantiert blauer Himmel, Sonne, Western-Landschaft,
Einsamkeit. Zwischendurch Tankstopp in einem kleinen
Wüstennest. Das Benzin ist billig, die Cola eiskalt, und der
Tankwart sagt: "Hey, that's a nice bike". Und stolz, aber
dennoch ganz cool antwortet man: "You bet"!
Genau so
hat man es sich immer vorgestellt. Und genau so war es. In
diesem Sommer.
Mein Plan seit ein paar Jahren: Harley kaufen in Texas. Von dort nach Sturgis in South Dakota, zum großen Motorradtreffen. Weiter nach Westen. Durch Wyoming, Utah, Nevada zum Lake Tahoe. Schließlich durch und über die Sierra Nevada nach Los Angeles. Da wird die Harley im Lager einer deutschen Spedition geparkt und dann nach Deutschland gebracht.
Zwei Voraussetzungen waren nötig, um diesen Traum zu erfüllen. Sparen – um anschließend in den USA eine gute Harley kaufen zu können. Punkt eins war eine Sache der eisernen Disziplin; Punkt zwei eine Sache des Glücks: In El Paso, Texas, kenne ich einen Harley-Händler. Anfang des Jahres hatte ich ihn angerufen und ihm von meinem Vorhaben erzählt. Ein paar Wochen bietet er mir eine für meine Reise passende Harley an: zwar schon zehn Jahre alt, aber nur wenige Meilen gelaufen, technisch und optisch wie neu. Ich bin so aufgeregt, begeistert, dass ich weder nach Einzelheiten frage noch am Kaufpreis feilsche – und einfach nur sofort zusage. In den nächsten Wochen sauge ich alles auf, was ich an Infos und Bildern zu dem Modell, zu „meiner“ Harley finden kann. Schon die Bezeichnung klingt für mich magisch: Harley Davidson FXRS Super Glide!
Anfang August stehe ich dann vor tatsächlich vor ihr und bekomme glänzende Augen: Sechs Zentner American Steel, rotlackiert und großzügig verchromt – und einfach schön. 12.000 Meilen stehen auf dem Tacho – für eine Harley ist das „gerade mal eingefahren“.
Einen Tag bleibe ich zum Eingewöhnen in El Paso, dann geht's "on the road". Ich fahre Richtung Nordwesten, nach New Mexico. Eine kleine, schnurgerade Straße führt durch die Halbwüste; vorbei an Sand, Steinen, Kakteen und Dornenbüschen. Es ist heiß, mindestens 35 Grad. Ideal, um in Jeans, T-Shirt und -natürlich- ohne Helm zu fahren. Nach 100 Meilen die erste Tankpause. Benzin für die Harley, ein Sandwich und eine kalte Cola für mich. Ich gehe um die Harley herum, checke, ob alles in Ordnung ist.
Ich fahre bis in den Nachmittag. Die Sonne brennt nicht mehr ganz so heiß. Aus dem flimmernden Asphalt tauchen Bäume und ein paar Häuser auf. Und dann Tankstelle, Lebensmittelladen, Motel, Restaurant; alles, was ich brauche, alles wie in meinen Träumen. Das Motel ist einfach, aber natürlich mit Klimaanlage und Fernseher. Ich dusche, gehe rüber ins Restaurant. Zum Nachtisch gibt's Eis vom Supermarkt, das ich vor dem Motel in aller Ruhe genieße – mit Blick auf die Harley und auf die untergehende Wüstensonne.
Am nächsten Morgen ist das Premieren-Gefühl schon vorbei. Gelassen schnalle ich meine kleine Reisetasche auf den hinteren Teil der Sitzbank, lasse routiniert den Motor an und donnere los. Albuquerque, Denver, Cheyenne. Aus der Wüste ist Prärie geworden. Links von mir tauchen die Rocky Mountains auf, an deren Fuß ich weiter nach Norden fahre. Die Berggipfel verschwinden in dicken Wolken, nach der Wüstenhitze sind die "nur" 25 Grad jetzt sehr angenehm.
Sturgis, South Dakota. Wer es noch nicht weiß: Hier findet in jedem Jahr, immer in der ersten Augustwoche das größte Biker-Treffen der Welt statt. In diesem Jahr sind es 120.000 Biker und Fans, die auf ihren Harleys rund um die Uhr durch das 6000-Seelen Städtchen ballern. Zwei Mal bin ich schon hier gewesen – aber nur als Tourist, der seinen Mietwagen verschämt in der Seitenstraße geparkt hat. Jetzt reite ich wie ein König durch die Main Street, auf der Zehntausende von Harleys in Vierer-Reihen geparkt sind. Eine Woche lang dreht sich hier alles nur um die Big Bikes aus Milwaukee. In den Läden ist die reguläre Ware weggeräumt, stattdessen gibt's alles, was der Biker so braucht: Leder in allen Variationen, Klamotten, Ersatzteile, Zubehör. Dazwischen, ebenfalls nur für die Bike Week aufgebaute Fast-Food-Stände; Hamburger, Mexican Food, Grills und jede Mende Getränke-Stände. Abends rocken Live-Bands um die Gunst der Biker; erst in den Morgenstunden reiten die letzten in Richtung Campingplatz. Drei Tage genieße ich die "Sturgis-Bike Week", dann geht es weiter – fast taub.
Die Main Street in Sturgis ist während der Bike-Week für Autos gesperrt, In vier Reihen parken die Harleys hier, in den beiden Fahrgassen wird ab und zu ordentlich der Gashahn aufgedreht. Ansonsten aber geht es gesittet und friedlich zu, zumindest auf den Straßen - morgens um 3 Uhr sieht das in den Kneipen, Bars und Clubs ein bisschen anders aus.
Meine Super-Glide vor dem Motel.
Trucker und Harley-Fahrer gehören und halten in den USA zusammen. Wenn ich auf einem Truckstop halte, kommt man schnell ins Gespräch: "Hey, nice bike. Where are you heading, where are you from?" Hier gucke ich in der Straßenkarte, wo es langgeht. (1992 - standen Navi und Google-Maps noch in den Sternen...)
Mit der Harley durch den Südwesten der USA (1992)
TEIL 2
Go West heißt es jetzt. Ich überquere die Rocky Mountains. Bis auf 2700 Meter Höhe windet sich die Straße. Trotz der 300 Kilo Eigengewicht sind die Kurven kein Problem. Der Schwerpunkt der Maschine liegt sehr tief; ohne jede Anstrengung bringe ich die Harley selbst durch enge Kurven. Und über die Durchzugskraft eines Zweizylinders mit 1200 Kubik zu sprechen, ist wohl überflüssig. Der dritte Gang ist ideal für alle unterschiedlichen Steigungen; einfach mal mehr, mal weniger Gas geben.
Auch an die zunächst sehr unbequeme Harley-Sitzposition habe ich mich gewöhnt: Ziemlich weit vorn auf der Sitzbank, dafür zurückgelehnt; die Füße auf den zusätzlichen Fußrasten weit vor dem Motor. So lächerlich diese Sitzposition auch aussieht – sie ist gut für Tausende von Meilen.
Kurz vor Salt Lake City geht's bergab; von 2500 auf 1000 Meter; von angenehmen 25 auf 40 Grad. Je tiefer es geht, desto heißer wird es. Ich fühle mich wie auf dem Weg in die Hölle – auch wenn den Bewohnern der Mormonenstadt dieser Vergleich sicher nicht gefällt. Eigentlich wollte ich hier einen Tag Pause einlegen; mir Temple Square und Tabernacle angucken. Jetzt spüre ich nur noch den Schweiß, der mir den Rücken runterläuft; die Jeans, die an den Beinen klebt. Bloß nicht anhalten, bloß weiter. Aber nicht zu weit. Denn gleich hinter Salt Lake geht's wieder in die Wüste, vorbei am Großen Salzsee. Im letzten Ort vor der großen Einsamkeit halte ich an, versuche im klimagekühlten Motel-Zimmer meine Körpertemperatur wieder in den grünen Bereich zu kriegen.
Den Hitzeschock noch im Kopf, fahre ich am nächsten Morgen schon um fünf Uhr los. Die Sonne geht gerade erst auf über der Wüste, aber das Thermometer am Motel zeigt schon 26 Grad.
80 Meilen fahre ich durch die menschenleere Salzwüste. Kein Ort, kein Haus, keine Tankstelle. Wenn jetzt die Harley mal nicht mehr will... Aber sie läuft. Immer wieder horche ich nach unten, aber man muss schon absoluter Experte sein, will man heraushören, ob an dem Rasseln, Klappern, Donnern und Pfeifen etwas unnormal ist.
Gegen Mittag Uhr habe ich 300 Meilen geschafft, und das war's dann auch. Temperatur: 42 Grad, Asphalt: Fließend. Reisefreude: Null. Wieder suche ich Zuflucht in einem klimatisierten Motelzimmer. Als es gegen Abend kühler wird, kümmere ich mich um die Harley, der ich ziemlich dankbar bin, dass sie bisher, vor allem aber in der Salzwüste, durchgehalten hat: Öl nachfüllen, Bowdenzüge und Kette schmieren, Reifen kontrollieren, Waschen und Putzen, dabei die Technik checken. Beim Umgang mit dem Zoll-Werkzeug fehlt noch der sichere Griff - wenn 3/8 zu klein ist, rattern meine kleinen grauen Zellen bis sie mit dem Ergebnis rüberkommen, dass die nächste Größe 1/2 sein muss...
Mit meiner Harley habe ich Glück; sie rasselt, schnauft, grummelt, schläggt, wummert - aber das ist bei Harley alles normal, und das Motorrad fährt ohne Macken. Das war bis in die 1980er Jahre anders; damals mussten Harley-Fahrer auch gute Schrauber sein; Harley war technisch nie ganz vorn. Trotzdem, vielleicht deswegen ist Harley Davidson in den USA ein Mythos: Made in America. Echt. Ursprünglich. Patriotismus.
Meistens Sonne und blauer Himmel, eine großartige Landschaft und trotzdem wenig Menschen und Verkehr - Amerikans Westen ist zu Recht ein beliebtes Ziel fürs Motorradfahren. Und in vielen Bundesstaaten konnte man 1992 Wärme, Sonne und Wind noch ohne Helm genießen...
Bonneville-Salzsee in Utah. Weil die getrocknete Salzfläche
topfeben ist, wurden hier viele Geschwindigkeits-Rekorde
aufgestellt; für Motorräder und Autos, aber auch für
Spezialfahrzeuge, die nur gebaut worden, um neue
Geschwindigkeits-Rekorde aufzustellen. Seit den 2000er Jahren
ist das Interesse an Rekorden abgeflaut.
(Helm und Jacke zeigen: Morgens um 7 Uhr kann es in der Wüste
ziemlich kalt sein..)
Mit der Harley durch den Südwesten der USA (1992)
TEIL 3
Lake Tahoe in der Nähe von Reno / Nevada. Hier, an dem berühmten Bergsee mit dem kristallklaren Wasser verbringe ich zwei faule Tage. Eine gemütliche, skandinavisch wirkende Hütte direkt am See. Tagsüber ausruhen, schwimmen, essen; am Abend ein paar Spielchen in einem der vielen Casinos – das lässt mich die heißen Strapazen der letzten Tage vergessen. Von hier aus sind es nur noch 400 Meilen bis nach Los Angeles, dem Ziel meiner Traum-Reise.
Bis auf 2400 Meter geht es wieder hinauf – in die Sierra Nevada. Am frühen Morgen habe ich die eindrucksvolle Berglandschaft ganz für mich allein. Die Berge rundherum sind bis zu 3500 Meter hoch; an einigen geschützten Stellen liegt noch Schnee. Niedrige Hartholzbüsche wechseln sich ab mit Krüppelkiefern, die, vom Wind seltsam verbogen, auf den steinigen Hängen wachsen. Die Morgensonne taucht alles in ein pastellfarbenes Licht. Am Pass angekommen, mache ich den Motor aus, lasse die Harley bis in die nächste Senke bergab rollen; Erdhörnchen, Kaninchen, Murmeltiere und eine kleine Schlange bringen sich vor dem nur rauschenden Bike in Sicherheit.
Den ganzen Vormittag über bleibt die Straße auf 2000 Meter Höhe, führt am Fuß der Sierra Nevada entlang. An der Grenze zu Kalifornien mache ich eine zwangspause – krame aus dem Gepäcke den Helm und setze ihn auf; seit einem Jahr Vorschrift in Kalifornien.
Rund 100 Meilen fahre ich noch durch die Sierra, schwinge mich bei angenehmen 20 Grad durch die Kurven. Dann endet der Fahrspaß abrupt: Ohne eine einzige Kurve geht es ins Tal, wieder wird es mit jedem Meter heißer. Die Mojave-Wüste. Weit und breit kein Baum, kein Haus, kein Schatten. Die Berge links und rechts sind niedriger geworden, völlig kahl, grau und abweisend. Die Luft auf dem Asphalt flimmert. Wieder einmal heißt es: durchhalten. Beim nächsten Tankstopp gieße ich Wasser über die Jeans, tränke ein Handtuch und lege es mir um den Hals. Der Trick funktioniert ungefähr 20 Meilen. Dann hat der heiße Fahrtwind alles wieder trockengepustet. Aber mit der Aussicht auf die nächste Dusche lässt es sich weiterfahren. Am Abend bin ich 40 Meilen vor Los Angeles.
Die Stadt ist ein Schock: Megabreite Highways, auf denen geschätzt Millionen von Autos in irrem Tempo kreuz und quer die bis zu fünf Fahrspuren pro Richtung wechseln. Dazu kommt: Weil Regen in Südkalifornien zwar selten, aber wenn, dann heftig ist, haben die Stadtplaner Rillen in den Straßenbeton ziehen lassen – das verringert bei Regen die Gefahr des Aquaplanings. Leider lassen diese Rillen, egal ob trocken oder bei Regen, Motorräder hin und her wackeln; die Harley fährt wie auf Eiern. Ich fahre auf dem kürzesten Weg nach Long Beach. Hier, in einem Lager einer deutschen Spedition, wird die Harley die nächsten Monate verbringen, das hatte ich schon vorher in Deutschland organisiert. Wehmütig nehme ich mein Gepäck vom Bike, klemme die Batterie ab und übergebe die Harley dem Lagermeister.
Ausgemacht habe ich mit dem Spediteur, dass er meine Super-Glide im November per Schiff nach Deutschland bringt. Aber vielleicht rufe ich ihn demnächst an und sage: „Lass die Harley wo sie ist. Ich bin übermorgen da...“
(1992)