Ulf Siebach ist ein deutscher Auswanderer; er betreibt seit einigen Jahren in Sibirien eine Gästefarm. Ganz einfach und mitten in der Natur zu leben hat mich immer schon fasziniert. Deswegen war es für mich tolles Projekt, mit Ulf ein Buch zu schreiben - über ihn, sein Leben und über seinen Weg nach Sibirien. Im Sommer 2022 war ich für zwei Wochen bei ihm, gemeinsam haben wir das Buch fertiggestellt. Hier die Geschichte, wie ich nach Sibirien gereist bin - und wie meine zwei Sibirien-Wochen gewesen sind. (Mehr übers Buch bei Google.)
Ulf lebt in der Nähe des Dorfes Cheremchanka. Die Stadt Abakan ist 200 Kilometer entfernt. Bis zum Baikal sind es noch rund 1000 Kilometer. Bis Moskau rund 4000 Kilometer. Da man momentan nicht nach Russland fliegen kann ist meine Anreise: Von Köln nach Warschau mit dem Zug, von dort mit dem Bus nach Kaliningrad und von dort per Flieger nach Abakan.
Abfahrt in Berlin. Polen ist zwar EU, aber ich war da noch nie. Und es klingt ja schon sehr nach Osten. Exotisch. Bin gespannt, wie alles wird.
Hatte mal wieder Glück: Als ich vor zwei Wochen das Ticket gebucht habe, war die 2. Klasse schon ausgebucht. Also 1. Klasse – und das war sehr angenehm. Schöne Sitze, wenig Leute. Ab und zu kommt der Snack-Service, serviert Kaffee, Saft, Wasser und Süßigkeiten – kostenlos; ist wohl in Polen in der 1. Klasse inklusive.
In Warschau ist mein Hotel nur fünf Geh-Minuten vom Bahnhof
entfernt; der Check in ist sehr angenehmen, das Zimmer
perfekt.
Nach der langen Bahnfahrt brauche ich unbedingt Bewegung; gehe
schon mal die drei Kilometer zum Busbahnhof, von dem ich morgen
früh den Bus nach Kaliningrad nehmen will.
Die Fahrt nach Kaliningrad habe ich zwar im Fahrplan am
Busbahnhof nicht gefunden, aber trotzdem bin ich beruhigt und
gehe zurück ins Hotel. Abfahrtsort und -zeit stehen auf dem vor
drei Wochen online gekauften Ticket – das wird schon alles in
Ordnung sein.
So habe ich eine ruhige Nacht. Um sechs Uhr stehe ich auf,
frühstücke (Riesen-Buffett!) aufgestanden und sieben Uhr fahre
ich mit dem Stadtbus die drei Kilometer zum Busbahnhof. Und um
halb acht kommt der Bus nach Kaliningrad.
Ticket und Pass zeigen, dann kann ich einsteigen. Na ja, der ganz große Reise-Luxus ist das nicht; die Sitze recht eng beieinander und kaum verstellbar, und der Bus ist sicher auch schon gute 20 Jahre alt. Aber: keine Beschallung durch Musik oder Videos. Und es gibt ein Klo. (Aber nach der ersten Benutzung habe ich mir für die weitere Fahrt ein Trinkverbot verordnet; in der Hoffnung, dass ich dieses Klo nicht noch einmal benutzen muss. Was auch geklappt hat!)
Die Grenze Polen – Russland kommt in Sicht. Sorgen mache ich mir nicht, ich habe ein Visum und einen negativen PCR-Test. Die erste Station ist die Ausreise aus Polen. Na ja, das kann ja nicht so lange dauern. Doch – kann es: zwei Stunden. Zwei Grenzerinnen kommen in den Bus und sammeln alle Pässe ein. Wir warten. Dann werden einzelne Reisende nacheinander draußen ins Grenzbüro zitiert – Ukrainerinnen, wie mir ein Mitreisender erklärt.
Nach und nach bekomme ich heraus, dass die polnischen Grenzer schon checken, ob alle Bus-Passagiere problemlos nach Russland einreisen können. Das finde ich verständlich, allerdings tickt meine innere Uhr: In einer Stunde wird mein PCR-Test ungültig, weil er dann älter ist als die von Russland geforderten 48 Stunden.
Schließlich sind wir an der polnischen Grenze mit allem durch und rollen langsam auf die russische zu. 15 Minuten bevor die 48 Stunden um sind, kommen die russischen Grenzer in den Bus, und checken Pässe und PCR-Bescheinigungen. Noch mal Glück gehabt.
Wir müssen aussteigen und mit Gepäck ins Grenzer-Gebäude. Ein Drogenhund schnüffelt, jedes Gepäckstück durchläuft den Scanner. Kommt den Grenzern das Monitor-Bild vom Inhalt des Gepäckstücks verdächtig vor, muss ausgepackt werden. Bei mir ist es die Videokamera, die sie wohl nicht als solche identifizieren können. Ich mache den Rucksack auf, hole die Videokamera raus und erkläre auf Deutsch, mit großen Gesten, dass ich nach Sibirien will und meine sicherlich tollen Eindrücke von diesem Land auf Video festhalten will. Das leuchtet den Grenzern ein, sie sind zufrieden – ich darf einreisen.
Nach 400 Kilometern, sieben Stunden Fahrt und vier Stunden Warten an den Grenzen: Ankunft in Kaliningrad. Und für einige Reisende ist es nach langer Zeit ein lang erhofftes Wiedersehen mit Freunden und/oder Familie.
Drei Tage Anreise – um dann erst am eigentlichen Anfang der Reise zu sein: Flughafen Kaliningrad, 20 Uhr abends. Um drei Uhr am nächsten Morgen geht mein Flug nach Moskau. Und von dort weiter nach Abakan.
Also noch Zeit, um ein bisschen zu schlafen. (Trotz der laufenden Klimaanlage habe ich die kurzen Hosen angelassen; die Hitze der letzten Tage hat wohl noch nachgeheizt.)
Nach dem Einchecken bummel ich noch durch die Flughafen-Shops. Im Andenkenladen bin ich überrascht, dass es Souvenirs zu den Orten mit den alten deutschen Bezeichnungen gibt: Königsberg, Allenstein, Masuren und andere Städte. Aber offensichtlich lässt sich mit den Alte-Zeiten-Sehnsuchts-Touristen Geld verdienen.
Nach zwei Stunden landen wir in Moskau, dort ein schneller Umstieg in das Flugzeug nach Abakan. Nach dem Start schaffe ich gerade noch, Moskau von oben zu fotografieren, dann mache ich es mir auf der Dreier-Sitzbank, die ich für mich allein habe, bequem. Und verschlafe fast die ganzen fünf Stunden Flugzeit bis Abakan.
Abakan. Sibirien. Wir sind das einzige Flugzeug auf dem Rollfeld. Für ein zweites ist auch kaum Platz. Drinnen: EIN Gepäckband. So mag ich es: klein, entspannt, angenehm.
Ja, klar, man sieht, dass es nicht Deutschland ist. Aber nach Sibirien sieht es auch nicht aus. Nee – natürlich nicht. Städte sind überall gleich auf der Welt. Weil es Städte sind. Ja, mal hier ein bisschen höher und moderner und da ein bisschen historisch und älter. Aber immer viele Autos, viele Menschen. Und das ist in Sibirien nicht anders.
Und um gleich noch ein Klischee aus der Welt zu räumen: Auch in Abakan, Sibirien – gibt es alles zu kaufen. In Supermärkten, Einkaufszentren, Bau- und Elektro-Märkten. Alles. Wie bei uns. Und auch die Preise sind die gleichen. Globale Welt eben.
Die Häuser im Stadtkern könnten mal etwas Putz und Farbe vertragen; die hohen und neuen Wohnhäuser am Stadtrand erinnern ein bisschen an DDR-Zeiten. Und natürlich waren auch die amerikanischen Fastfood-Läden da (hier: KFC); seit dem Ukraine-Krieg sind die geschlossen oder von russischen Unternehmen übernommen.
In Abakan holt mich Ulf Siebach mit dem Auto ab. Von Abakan bis zu ihm sind es 200 Kilometer – und nur gut die Hälfte der Straße ist asphaltiert.
Nach 100 Kilomentern: Kuragino; die letzte größere Stadt von der Einsamkeit; Versorgungszentrum für alles, was jetzt noch an Orten kommt. Denn ab hier ist die Straße eine rund 100 Kilometer lange Sackgasse (und Schotterpiste). Und jetzt kommt auch langsam das Sibirien-Gefühl auf…
Schotterpiste. Die ersten Kilometer fühlen sich noch nach Freiheit und Abenteuer an. Dann wird es schon ein bisschen anstrengend. Und eine Tortur fürs Auto. Ulf Siebach. „Ich freu mich auf den Winter, dann ist die Strecke von einer festen Eisdecke überzogen. Und gegen die Glätte helfen Spikes-Reifen.“
Aber zwischendurch wunderbare Natur und Einsamkeit - hier der Kasir. So "muss" Sibirien aussehen...
Endlich: Hier ist Sibirien. Cheremchenka. Auf Deutsch: „Der Ort wo der Bärlauch wächst“. Rund 1000 Einwohner. Zwei Einkaufsläden, eine Tankstelle, ein Kulturhaus. Und von wegen „Hier ist das Ende der Welt“: Seit kurzer Zeit gibt es ein veganes-Restaurant!…
Und natürlich die typischen Sibirien-Häuser. Die Holzbretter
sind nur die Fassade, dahinter sind es echte Blockhäuser. Und
hinter jedem Haus ein großer Garten. Fürs Gemüse. Denn
Selbstversorgung ist in den Dörfern Sibiriens noch immer
üblich.
(Ich warte noch auf Sonne, damit ich mal ein schönes und
wirklich buntes Foto von den Häusern machen kann.)
Da unten irgendwo stehen die Gästehäuser. Im Sommer sind es hier gute 30 Grad, im Winter auch – aber minus. Dazu reichlich Schnee. Von Cheremchanka bis zu den Gästehütten sind es acht Kilometer. Ulf Siebach: „Mit dem Geländewagen brauche ich für die Strecke, je nach Wetter, eine halbe Stunde. Im Winter, mit dem Schneemobil liegt mein Rekord bei acht Minuten. Während der Schneeschmelze, der „weglosen Zeit“ geht es nur zu Fuß, da brauche ich also ungefähr eineinhalb Stunden.“
Der alte Teil der Gäste-Anlage. Links: In dieses Haus sind die Siebachs ein Jahr nach ihrer Ankunft in Sibirien eingezogen. Rechts: Ein Holz-Tipi; das Gemeinschaftshaus, mit Küche und Feuerplatz. In der Mitte: Dieses Haus haben die Siebachs beim Kauf des Grundstücks mit übernommen; es war dann ihr erstes Zuhause: 20 Quadratmeter, kein Strom, Wasser aus dem Fluss. Und in der Mitte ein großer Holzofen. Zwei Erwachsene und ein sechs Monate alter Säugling. Da muss man sich und Sibirien schon sehr mögen. Vor allem im Winter – bei kurzen Tagen und langen Nächten. Und minus 30 Grad…
Aus den zwei Hütten ganz zu Anfang ist inzwischen schon ein kleines Dorf geworden. Und Ulf hat immer noch mehr Ideen.
Mal eben durch die Taiga laufen – das geht leider nicht. Die Taiga in dieser Region ist jung, ungefährt 30 Jahre alt; häufige Buschbrände haben die alten und hohen Bäume vernichtet. In dieser jungen Taiga ist der Boden völlig zugewachsen. Da muss man schon genau die Stellen kennen, in denen es geht. Weil Ulf da schon mit anderen Gästen gewesen ist. Oder weil Förster und Trapper da ab und zu gehen.
Eine Solaranlage liefert Strom, in meiner Hütte gibt es 12 Volt USB zum Handy laden, in der Küchenhütte auch 220 Volt. Ein Funk-Router ermöglicht Internet und WLAN.
Ein Trecker muss natürlich sein in Sibirien. Ulf hat lange nach einem passenden Modell gesucht und setzt den Trecker bei allen möglichen Arbeiten ein. Vor allem im Winter, zum Schneeräumen - mit Schneeschippe und Schaufel würde das Tage dauern.
Der Fluss ist die Grenze zwischen Ulfs Grundstück und der Taiga. In den ersten Jahren war das auch die Trinkwasser-Quelle.
Trinkwasser aus 30 Meter Tiefe. Zu Anfang hat Ulf Wasser aus dem Fluss geholt und genutzt. Aber als immer mehr Gäste kamen, hat er einen Brunnen bohren lassen. Das macht die Wasserversorgung viel einfacher. Aber die Erkenntnis ist geblieben; Ulf: „Wenn du jeden Liter Wasser aus dem Fluss holen musst, lernst du den Wert von Wasser zu schätzen und verbrauchst davon möglich wenig.“
Zuhause kalt duschen mache ich nie – aber hier die Morgenwäsche gleich nach dem Aufstehen ist wunderbar… 50 Meter weiter, am Fluss.
Die Küchen-Hütte. Kochen, essen, sitzen, klönen, den Ofen anmachen… Normalerweise. Aber momentan bin ich der einzige Gast, und diese Hütte ist mein Haupt-Arbeitsplatz. Ab und zu kommt Ulf dazu und wir arbeiten gemeinsam am Buch.
Weil ich im Moment der einzige Gast bin, versorge ich mich selber. Ich bin kein großer Koch; Bratkartoffeln mit Spiegelei – das kriege ich noch hin. Hier und heute praktiziere ich eine Variation davon: Geschnippelte Möhren und Buchweizen. 20 Minuten kochen, dann in die Pfanne. Zwei Eier dazu, obenauf drei Scheiben (selbstgemachten) Käse. Superlecker! Noch leckerer wird es natürlich, wenn Ulf kocht.
Was mir bei diesem Foto gerade einfällt: Wenn ich immer in (von Ulf geliehenen) Gummistiefeln zu sehen bin, dann nicht, weil ich die hier wirklich brauche. Sondern sie sind so groß, dass sie einfach anzuziehen sind, und ich kann damit überall rumlaufen kann – über Rasen, durch die nasse Wiese, in den Fluss und auch mal einen matschigen Weg. Gummistiefel passen eben immer – aber natürlich nur für draußen.
Ich bin ja eher ein Katzenmensch. Aber dieser kleine Kerl hat es mir angetan. Er sieht aus wie ein Hund, läuft wie ein Fuchs, heult wie ein Wolf – und ist einfach nur zum Knuddeln…
Meine Hütte. Ca 10 Quadratmeter, alles Holz, zwei Fenster, ein kleiner Ofen. Sehr gemütlich.
Tagsüber sitze ich meistens auf meiner Veranda, arbeite, gucke auf Sibirien. Was mich überrascht: Es gibt kaum Mücken. Ulf: "Wenn man die Wiesen und Rasen rundherum oft mäht, sehr kurz hält, sind Mücken kein Problem."
Ulf ist Macher: Bäume fällen, Hütten bauen, Trecker fahren, allein in der Natur – das ist sein Ding. Schreiben, stundenlang am Schreibtisch sitzen ist für ihn ungewohnt. Der Rohtext fürs Buch ist durch viele Telefon-Interviews entstanden, die Ulf und ich geführt haben. Hier in Sibirien arbeiten an der finalen Druck-Version des Buchs.
Lange Gespräche. Übers Buch. Und übers Leben...
Das Tipi ist, neben der Küche, der zweite Gemeinschaftsraum
hier auf der Farm.
Beim Morgenspaziergang.
Ein tolles Buch-Projekt. Eine tolle Reise nach Sibirien.
Ende!